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„Bretter, die die Welt bedeuten“ – Die WGJ1B im Theater

Fünf Schauspieler, die ein- und dieselbe Romanfigur spielen? Ein DJ, der im Theater lauten Trap-Sound auflegt? Ein Breakdancer, der auf der Bühne tanzt? Eine humorvolle Inszenierung ausgerechnet eines Werkes, dessen Protagonist so verzweifelt ist, dass er sich umbringen will? Das soll funktionieren? Das soll für den Deutschunterricht gewinnbringend sein? Ja, das tut es. Ja, das ist es. Beides bewies die „Steppenwolf“-Inszenierung von Regisseurin Brigitte Dethier im Theater „Junges Ensemble Stuttgart", die die Klasse WGJ1B am 18. Juli 2022 gemeinsam mit ihrem Deutsch-Lehrer David Nagler besuchte.

Ziel dieses gemeinsamen Abends war es, den Jugendlichen einen neuen - nein einen außergewöhnlichen - kulturellen Ort schmackhaft zu machen: das Theater. Oder, um es mit Schiller zu sagen, ihnen die Bretter zu zeigen, die die Welt bedeuten. Die Wahl des Stücks, das auf diesen Brettern aufgeführt wurde, war der Tatsache geschuldet, dass die Schüler sich dieses und nächstes Schuljahr mit dem „Steppenwolf“ auseinandersetzen müssen, ähhh dürfen. Denn Hermann Hesses berühmter Roman wird eine Prüfungslektüre ihres Deutsch-Abiturs sein. Der Theaterbesuch war also mit der Hoffnung verknüpft, die Inszenierung möge den jungen Theaterbesuchern einen Zugang zu dem Buch öffnen, das durch seine Handlungsarmut so gar nicht ihren üblichen Leseerfahrungen entspricht.

Und die Inszenierung hielt, was sie versprach. Denn entgegen der Gewohnheit des heutigen Regietheaters hielten sich die Schauspieler ausgesprochen eng an den Originaltext. Auch die theatralen Mittel der Regisseurin dienten mitnichten bloßer Effekthascherei, sondern veranschaulichten die Handlung und viele zentrale Themen des Romans auf kreative Art und Weise. 

Beispielsweise wurde der Protagonist Harry Haller ganz bewusst von verschiedenen Darstellern gespielt, um so die Vielfalt seiner Persönlichkeit zu verbildlichen - sozusagen die tausend Seelen in Harrys verzweifelter Brust. Auch der moderne Trap-Sound, den Marie-Christin Sommer als Pablo auflegte, ließ bei den jungen Zuschauern nicht nur die Füße wippen, sondern übertrug die Handlung geschickt in die Gegenwart. Sogar die Tatsache, dass die Figur Pablo von einer Schauspielerin gespielt wurde, erschien folgerichtig, da auch Hesses Pablo als androgyne Figur angelegt ist, die versucht die üblichen Geschlechtergrenzen zu überwinden.

Beeindruckt waren die Schüler von Lin Verleger, der auf der Bühne breakdancte und durch seine Choreographie Hallers Zerrissenheit zum Ausdruck brachte. Außerdem veranschaulichte er mit dem Tanzen ein zentrales Leitmotiv des Romans. Denn ein Weg, um den einsamen Steppenwolf in Harry zu besiegen, ist eben dieses Tanzen, das er von seiner Spiegelfigur Hermine lernt.

Wie gut die Vorstellung bei den meisten jungen Zuschauern ankam, zeigte das Lachen, das immer wieder im Publikum zu hören war. Die offensichtlich bewusst humorvoll inszenierten Sequenzen passten auch dazu, dass Harry Haller im Roman eben jenes Lachen gelehrt wird, um seine Lebensmüdigkeit zu überwinden. Außerdem bewahrte die Theaterfassung auf diese Weise ironische Distanz zum selbstmitleidigen Schöngeist Harry Haller und deutete an, wie selbstgerecht und elitär dessen Weltschmerz tatsächlich ist.

Am Ende des Abends stand eine Inszenierung, die vorführte, wie geistreich, witzig, durchdacht und gewinnbringend modernes Theater sein kann. Damit ermöglichten die Schauspieler und die Regisseurin ihren Nachwuchszuschauern ganz sicher ein besseres Verständnis für den Protagonisten Harry Haller, der so viel älter ist als die Schüler selbst. Möglicherweise weckten sie bei dem Ein oder Anderen sogar die Faszination für die Bretter, die die Welt bedeuten und animierten dazu, sich nochmals privat ins Theater zu wagen.  

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