Werden Lena, Louis und Amy tatsächlich für die Klasse WGEA einkaufen gehen oder setzen sie sich heimlich, still und leise mit unserem Geld ab, um einen schönen Last-Minute-Urlaub zu genießen? Diese Frage stellte sich nicht nur unser Klassenlehrer Herr Nagler, nachdem er unseren drei Einkäufern stolze 1000 Euro für den Klasseneinkauf vor unseren Kennenlerntagen in die Hand gedrückt hatte. Erleichterung machte sich erst breit, als Lena, Louis und Amy am 16. September um 10 Uhr morgens am Busabfahrtsplatz auftauchten. Und sie kamen nicht allein. Sondern mit einer Wagenladung an Essen und Trinken, die uns für die nächsten drei Tage auf der Burg Derneck das Überleben sichern sollten. Wie sehr waren die drei wohl von all den anderen Menschen verflucht worden, die in der Supermarktschlange hinter ihnen gewartet hatten, als unsere beiden Mitschüler die Waren aus drei überfüllten Einkaufwägen aufs Kassenband stapelten? Ob die Kassiererin sie wohl für Prepper gehalten hatte, die sich für den nahen Weltuntergang wappnen?
Wir jedenfalls luden den Einkaufsberg mitsamt unserem Gepäck in den Bus und dann ging es bei bester Laune los durch das schöne Lautertal zur Burg Derneck. Ganz vorne saß unser Begleitlehrer Herr Wenzel. Herr Nagler dagegen durfte nicht mit in den Reisebus. Er folgte uns stattdessen im Schulbus, um die Schulboote zu transportieren. Unterhalb der Burg angekommen, wurden wir von Nieselregen begrüßt und dann hieß es, all unsere Mitbringsel die letzten Meter hochschleppen. Unserer Vorfreude auf die nächsten gemeinsamen Tage tat dies jedoch keinen Abbruch.
Die Unterkunft war eine gut erhaltene Burg mit Turm, in deren Forsthaus wir übernachteten. Stilecht waren die Wände mit authentischen Ritterutensilien wie Lanzen, Schwertern und Schilden geschmückt. Nur das von Herrn Nagler großspurig angekündigte W-Lan suchten wir vergeblich. Im Erdgeschoss gab es eine überraschend modern eingerichtete Küche, deren rasante Spülmaschine definitiv noch nicht von den Rittern verwendet worden war. Außerdem gab es für uns im Erdgeschoss einen historischen Speisesaal, während wir in den oberen beiden Stockwerken schliefen. Acht Jungs teilten sich ein Zimmer, so dass es ziemlich eng wurde. Ein Mitschüler löste dieses Problem auf seine Weise: Er lieh sich aus Herrn Naglers Zimmer eine Matratze, um darauf fortan auf dem Boden mit mehr Beinfreiheit zu nächtigen. Apropos ungleich verteilte Zimmereinrichtung: Warum verfügte das Lehrer-Zimmer eigentlich als einziges über ein eigenes Waschbecken? Welcher Luxus versteckte sich dort drinnen wohl sonst noch so – goldene Toilettensitze, Massagesessel, Bibliothek? Hmmm.
Nachdem wir unsere Koffer verstaut hatten, machten wir es uns erst einmal in unserem neuen Zuhause gemütlich. Währenddessen bereiteten Herr Wenzel und Herr Nagler die sog. Klassenolympiade vor. Dabei absolvierten wir den Nachmittag über ganz verschiedene Disziplinen in vier zufällig ausgewählten Teams gegeneinander. Ziel war es, dass wir eng zusammenarbeiten, wobei jeder von uns die Chance hatte, seine Stärken zu zeigen. Zum Beispiel mussten wir uns durch ein sog. Spinnennetz schlängeln, ohne die Spinnenweben zu berühren. Bei der Disziplin „Lügenbaron“ mussten wir aus einer detaillierten Geschichte die eingebauten Fehler finden. Sehr lustig war auch die Disziplin „Sonntagsschauspieler“, als immer zwei Schüler einen Begriff pantomimisch vorspielten, den der Rest der Gruppe erschließen musste. Darunter waren so absurde Begriff wie Känguruh, Rasenmäher oder Waschmaschine. Können Sie sich vorstellen, das ohne Worte darzustellen? Geschicklichkeit und Koordination war gefragt in der Disziplin „Dreibeinrennen“, als zwei Mitglieder jeder Gruppe mit jeweils einem Bein aneinander gebunden wurden und dann möglichst schnell eine festgelegte Strecke durch unser Forsthaus hüpfen mussten. Eigentlich waren auf der Wiese unterhalb der Burg noch viele weitere solcher aktiver und sportlicher Disziplinen geplant, aber da machte uns der kalte Nieselregen einen Strich durch die Rechnung. Wahrscheinlich war das der Grund, dass am Ende das Team „Alpha“ – nomen est omen - die Klassenolympiade für sich entschied. Ihre Belohnung sollte am nächsten Tag bei der Konkurrenz der „Tannenzäpfchen“ und „Spartacus“ für neidische Gesichter sorgen.
Nach der Klassenolympiade ging es für zwei Kochgruppen in die Küche und sie machten sich daran, für uns alle Spaghetti und Pizza zuzubereiten. Das Kochen war eine tolle Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen und sich besser kennenzulernen. Und überraschenderweise schmeckte das Ergebnis sogar gut. Am Abend trafen wir uns alle spontan in einem Mädelszimmer, der Kachelofen hielt uns mollig warm und wir lachten und redeten bis spät in die Nacht. Die einzige Überwindung kostete uns, quer über den Hof zu laufen, um das Brennholz für den Ofen zu holen. Die angekündigte Nachtruhe um Mitternacht verstanden wir eher als Empfehlung und hielten uns stattdessen an die ausdrückliche Mahnung Herrn Naglers: „Wehe, ihr holt Herrn Wenzel aus seinem Schlaf. Der ist heiliger als die Reliquien im Petersdom zu Rom.“
Der nächste Morgen fing für manche von uns sportlich an, denn nicht jeder schaffte es pünktlich zum Frühstück. Zum Ausgleich mussten die Trödler 20 Liegestütze machen. Nach dem Frühsport gab es zum Glück ein leckeres Frühstück mit ofenfrischen Brötchen, wieder zubereitet von einer verantwortlichen Schülergruppe. Danach wartete auf uns das Quiz „Der große Preis“, bei dem wir erneut in Gruppen gegeneinander antraten. Diesmal ging es aber nur um Wissen und wir wählten nacheinander aus den Kategorien Mathe, Politik, Geschichte, Wirtschaft, Kunst und Kultur sowie Sport unterschiedlich schwere Fragen aus, die uns die beiden Quizmaster Herr Nagler und Herr Wenzel präsentierten. Immer wenn eine Gruppe die richtige Antwort wusste, gewann sie die entsprechenden Punkte. Lässig meisterten wir Fragen, wie z.B. Nenne "drei ehemalige deutsche Kolonien in Afrika“ oder „vier Bundeskanzler in der richtigen Reihenfolge“. Aber wer soll bitte wissen, welcher Sportler mit einem grünen Sakko ausgezeichnet wird? Auch mit der Frage „Was ist das Bruttosozialprodukt?“ kämpften alle Gruppen reihum vergeblich. Irgendetwas hatten die überkritischen Quizmaster immer an unseren Antworten auszusetzen und stichelten mit der provokanten Nachfrage: „Welches Fach steht nochmal am häufigsten pro Woche in eurem Stundenplan?“ An dieser Stelle aber ein friendly reminder in die andere Richtung: Auf den großen Preis, den bereits der Name des Spiels ankündigt, wartet die Siegergruppe bis heute …
Nach der preislosen Siegerehrung hätte eigentlich das Abseilen vom beängstigend hohen Burgturm angestanden. Aber leider machte uns das Wetter erneut einen Strich durch die Rechnung. Diese Aktivität praktizierten stattdessen unsere Nachfolger von der Klasse BKWI1, die mit unserem Sportlehrer Herrn Erdmann als unsere Nachmieter auf der Burg einzogen und die offensichtlich einen besseren Draht zu Petrus pflegen als die WGEA. Wir dagegen schmierten uns belegte Brötchen als Wegzehrung, da wir von der Burg zur Lauter wandern „durften“, um dort Kanu zu fahren. Angekündigt wurde uns ein entspannter einstündiger Spaziergang. Heraus kam eine dreistündige Wanderung im Nieselregen. Kann man hier schon von einem Gewaltmarsch wie bei der Bundeswehr sprechen? Neidisch blickten wir auf die Mitglieder der Klassenolympiade-Siegergruppe, die mitsamt der Kandier im Schulbus zur Einlassstelle gefahren wurden und uns natürlich laut hupend überholten. Angeblich musste sie am Kanueinstieg dann hart arbeiten und die Kanadier abladen sowie die Schwimmwesten und Paddel bereitstellen. Aber ob das wohl stimmt?
Nach einer Einführung von Herrn Eisele, wie man richtig lenkt und paddelt, ging es für uns alle für eine dreistündige Kanutour aufs Wasser, in jedem Kanadier zwei bis vier Schüler. Das nasse Wetter schreckte uns nicht ab und es gab viel zu lachen und zu fluchen, wenn es zum Beispiel zu einem unauflösbaren Stau auf dem Wasser kam, weil sich ein Kanu querstellte – natürlich wegen der starken Strömung der reißenden Lauter und nicht wegen unserer mangelnden Lenkkünste. Jedenfalls kenterte daraufhin ein Kanu mit drei Leuten. An der Ausstiegsstelle versuchten manche einen heroischen Sprung, scheiterten jedoch und fielen in den Fluss. Andere wiederum fielen ins Wasser, weil sie ihr Gleichgewicht auf dem Kanu nicht halten konnten oder einfach, weil sie eine Abkühlung brauchten. Am Ende blieben nur die Wenigsten trocken. Mehrere Schülerinnen behaupten bis heute steif und fest: „Ich war tauchen, ich war komplett unter Wasser. Wo waren bitte unsere Taucherbrillen?“ Letztendlich hatten wir außer einer vermissten Socke aber keine Verluste zu beklagen, so dass wir uns nach der Reinigung der Kanadier auf den Rückweg machen konnten. Zum Glück hatten unsere Lehrer diesmal ein Einsehen und shuttelten uns im Schulbus nacheinander hoch zur Burg.
Dort angekommen, entschied sich die Kochgruppe für uns alle zu grillen und lieferte uns dann Fleisch, Würstchen und Gemüse frei Haus in den Speisesaal. Manchen besonders Hungrigen ging der Lieferservice allerdings zu langsam, so dass sie sich spontan selbst etwas in der Küche brutzelten. Nach dem Abendessen öffnete für viele Jungs die Fanzone. Denn sie schafften es tatsächlich, eine stabile Internetverbindung aufzubauen, so dass wir den Champions League-Kracher „Real Madrid gegen die neue Macht im europäischen Fußball – VfB Stuttgart“ über den mitgebrachten Beamer anschauen konnten. Alle Nicht-Fußballfans genossen derweil den gemeinsamen Abend mit lauter Musik und gemeinsamen Gesprächen im allseits beliebten Mädchen-Zimmer.
Am letzten Morgen wurden wir alle um 6 Uhr früh durch lautes Brüllen und Lachen geweckt. Welcher Schüler dahinter steckte oder ob an der Ausrede: „Das war bestimmt der Burgwart“ etwas Wahres war, konnte nicht aufgeklärt werden. Jedenfalls quälten wir uns alle um 8:30 Uhr völlig übermüdet zum Frühstück. Einige durften wieder die obligatorischen zwanzig Liegestützen ableisten. Nach dem Frühstück packten wir, reinigten unsere Zimmer und die Küche und nach einigen Abschiedsphotos brachte uns der Bus zurück nach Nürtingen. Auf dieser Busfahrt litten manche bereits unter Heimweh und freuten sich darauf, bald wieder zu Hause zu sein. Andere erinnern sich wahrscheinlich gar nicht mehr an diese Rückfahrt, da sie Schlaf nachholten.
Am Ende war sich die gesamte Klasse aber einig, dass die Kennenlerntage ein voller Erfolg waren und wir freuten uns darüber, wie viel näher wir uns in dieser kurzen Zeit gekommen sind. Nun kann das Schuljahr als Klassengemeinschaft richtig losgehen.
Nico Heizmann (WGEA)