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Ein Auslandsjahr in Amerika – Eine lohnende Erfahrung?

Du wolltest schon immer ins Ausland, neue Erfahrungen sammeln, dich frei in deinen Entscheidungen fühlen und raus aus dem vertrauten Umfeld - rein in eine Welt voller neuer Eindrücke, unbekannter Traditionen, anderer Wertvorstellungen und einem anderen Lifestyle?

Hey, mein Name ist Larissa Zaiser und ich war im Schuljahr 2020/21 auf dem BKWI1 der Albert-Schäffle-Schule. Während dieses Schuljahrs habe ich mich auf das Stipendium des deutschen Bundestages, das Parlamentarische Patenschaftsprogramm, beworben. Dank dieses Programms habe ich die Chance bekommen, für ein Jahr eine Highschool im amerikanischen Maine zu besuchen. Bepackt mit den eingangs formulierten Erwartungen bin ich dann letzten Sommer in die USA gereist. Ob sich meine Erwartungen bewahrheitet haben, was die Unterschiede zwischen der ASS und der Mount Desert Island High School (MDIHS) sind und ob sich so ein Auslandsschuljahr überhaupt lohnt oder reine Zeitverschwendung ist, erfahrt ihr jetzt.

Aber beginnen wir doch, bevor ich in die USA geflogen bin. Das erste Mal gesehen hatte ich das Werbeplakat des Parlamentarischen Patenschaftsprogramms (PPP) tatsächlich an der ASS. Für mich hörte sich das ganz interessant an, da ich reisefreudig bin und mir spontan überlegt habe, dass es eigentlich ganz cool wäre, in die USA zu gehen und mich dort mit dem Hintergedanken der Völkerverständigung und des politischen Austauschs einzubringen. Gedacht, getan. Noch am selben Tag habe ich mich online beworben. Spontane Entscheidungen sind eben manchmal genau richtig. Erst danach habe ich mit meinen Eltern darüber gesprochen, welche nicht sonderlich überrascht schienen und meinten, dass ich einfach mal mein Glück versuchen könne. :)

Gewisse Voraussetzungen verlangt ein solches Auslandsjahr jedoch. Zum Beispiel wurde von mir erwartet, dass ich sozial engagiert bin, mich mehr oder weniger gut in Englisch ausdrücken kann, grundsätzlich politisch interessiert und anderen Menschen und Kulturen gegenüber aufgeschlossen bin. Schließlich sollte ich im Ausland als sog. Junior Botschafter agieren. Sozial engagiert war ich schon länger, unter anderem in der Jungschar, als Coach eines Teams, als Jugendleiterin und als Gemeindefrau der Kirche. Ein weiterer Aspekt war die englische Sprache und das Wissen über verschiedene Themenbereiche der Politik. Hierauf wurde ich im Englisch-Unterricht bei Herrn Kesselring und im Geschichtsunterricht bei Herrn Nagler gut vorbereitet. Viel wichtiger ist es nach meiner Erfahrung aber, dass man sozial kompetent ist. Denn dann ist es nicht sonderlich schwer, die Sprache zu verbessern. Mein Englisch war zuvor nämlich ehrlich gesagt nicht so prickelnd und ich habe es trotzdem geschafft, nun mit einem Stipendium in den USA zu sein. Also wer seine Englischkenntnisse als Ausrede verwenden möchte – das zieht nicht :) Denn man lernt die Sprache hier vor Ort spielend einfach. Zu Beginn haben mir z.B. die Wortspiele geholfen, die wir gespielt haben, wenn ich ein wichtiges englische Wort nicht wusste.

Nach der Vorbereitung durfte ich dann hierher in die USA fliegen und schon vor meinem ersten Schultag Unterschiede zur ASS kennenlernen. Denn noch in den Ferien fand das erste Informationsmeeting für das Schul-Golfteam statt, bei dem ich erfahren habe, dass die Sportsaisons von der Schule organisiert sind und zum Teil von Lehrern gecoacht werden, wodurch der Sport nahezu unzertrennlich mit der Schule verbunden ist. Man tritt hier für seine Schule gegen andere Schulen an. Das kann dann so aussehen, dass man jeden Nachmittag in der Schulsporthalle für 1,5 Stunden Training hat und am Wochenende oder nach der Schule mit einem typisch gelben Schulbus zu einer anderen Schule fährt, um gegen diese anzutreten. 

Wenn ich einem amerikanischen High-Schüler erkläre, warum die deutschen Schulen keine solchen Sportteams haben, ziehe ich oftmals den Vergleich von Business und Freizeit: Man geht morgens in die Schule, danach geht man nach Hause und kann sich seine Freizeit selbst gestalten, beispielsweise mit Sport in Vereinen. Ich bin zwiegespalten, welches System ich persönlich besser finde. Auf der einen Seite ist es praktisch, sich nach der Schule selbst die Zeit einteilen zu können und sich nicht für drei Monate voll und ganz nur einem Sport verschreiben zu müssen. Auf der anderen Seite ist es schön, mit Leuten aus der eigenen Schule in einem Team zu sein und für die Schule zu kämpfen. Denn das gibt hier ein unglaubliches Gefühl einer schulischen Einheit und Verbundenheit zwischen den Schülern.

Der größte Unterschied ist jedoch der Stundenplan. Anders als in Deutschland ist man nicht in einer festen Klasse, mit welcher man nahezu alle Fächer durchläuft. Stattdessen ist man in Freshman, Sophomore, Junior und Senior unterteilt. Das Schuljahr ist in zwei Semester oder vier Quartale unterteilt. Zu Beginn eines Jahres muss man Klassen wählen. Man hat dann für ein Quartal jeden Tag vier verschiedene Fächer. Das heißt jeden Tag den gleichen Ablauf. Für die Fächer bekommt man Credits, welche einer Kategorie zugeordnet werden. Beispielsweise English, Social Studies, Math, Science, PE, Health, Finearts und Lifeskills, wie Business education. Am Ende des Senior Years muss man dann eine bestimmte Anzahl von Credits in den jeweiligen Bereichen haben. Mit welchen Fächern man diese erreicht, ist jedem selbst überlassen. So kann man auf verschiedenen Niveaustufen arbeiten, was sehr gut ist, da man sich nicht wie in Deutschland nach der 4. Klasse in Hauptschule, Realschule und Gymnasium trennt.

Auch die Methode des Lehrens ist anders. Das System ist darauf ausgelegt, dass die Schüler nachhaltig lernen. Das sieht dann so aus, dass man sehr viel weniger Klassenarbeiten schreibt, zusätzlich aber die Hausaufgaben und Ausarbeitungen benotet werden. Das bewirkt, dass man regelmäßiger lernt statt sich in der Nacht vor dem Test alles in den Kopf zu prügeln. Auch hat man nach jedem Test die Chance, diesen zu verbessern und so aus seinen Fehlern zu lernen und bessere Noten zu bekommen. Das nimmt den Leistungsdruck aus dem Lernen, was für manche Schüler gut ist, für andere jedoch schlecht, da der Druck eben fehlt.

Die Atmosphäre in den Klassen ist sehr gut, da man natürlich lernt, aber der Druck wegfällt. Jetzt könnte man sich fragen, ob die Schüler überhaupt noch Wert darauf legen in den Klassen anwesend zu sein, wo es doch eher entspannt zugeht oder ob sie nicht dazu verleitet sind, einfach zu schwänzen. Das haben sich die Lehrer auch gedacht und praktizieren die Idee des tardy pass. Sobald man auch nur eine halbe Minute zu spät im Klassenzimmer ist, wird man als abwesend markiert, egal ob man nur zu spät ist oder gar nicht erscheint. Der einzige Weg, um diese Bemerkung, welche auch im Zeugnis auftaucht, zu vermeiden, ist einen Tardypass von einem Lehrer ausgestellt zu bekommen. Auch wenn man während des Unterrichts aus dem Klassenraum geht, muss man sich, selbst wenn es mit dem Lehrer abgesprochen ist, in einer Liste mit Namen, Destination und Uhrzeit eintragen.

Eine andere Besonderheit an den Highschool hier in Maine ist der Community Service. Jeder Schüler ist verpflichtet sich in seiner Zeit an der Highschool mindestens 20 Stunden ehrenamtlich zu engagieren. Andernfalls kann er keinen Abschluss machen. Die Idee, Schüler so dazu zu bringen, sich mehr einzubringen und neue Arbeitsbereiche zu entdecken, gefällt mir sehr gut. Ich bin davon überzeugt, dass diese Idee dem deutschen Schulsystem auch nicht schaden würde, da wir so zu einer besseren Gesellschaft werden könnten, in welcher man sich umeinander statt nur um sich selbst kümmert.

Besonders an meiner Schule, der MDIHS, sind auch die vielen unterschiedlichen Kurse, Projekte und Clubs, in welchen man sich einbringen und wirklich etwas bewirken kann. Beispielsweise gibt es das Eco Team, welches dieses Jahr Recycling von Papier und Kompostieren in der Cafeteria eingeführt hat, Robotics, Bible Study sowie ein Social Rights Team, welches zum Beispiel einen Social Responsibility Day mitgestaltet hat.

Um das Team zu stärken und ein wenig Abwechslung in den doch recht eintönigen Stundenplan zu bringen, gibt es dienstags und donnerstags „Flextime“. Diese ist ungefähr 40 Minuten lang und man kann bzw. muss sich online für etwas anmelden. Die Angebote sind sehr vielseitig. Zum Beispiel gibt es Studyhalls, in welchen man einfach in Ruhe Hausaufgaben machen kann. Außerdem wird Sudoku, D&D und Schach angeboten oder man kann in der Jazzband oder bei Teamsports mitmachen. Diese Angebote wechseln jede Woche. Das macht echt viel Spaß, aber diese Zeit kann auch für weniger angenehme Tasks verwendet werden. Beispielsweise kann man von einem Lehrer getagt werden, wenn man seine Arbeit nicht zu Ende gebracht hat oder er ein Gespräch unter vier Augen wünscht. Alles in allem werde diese schulische Abwechslung aber bestimmt vermissen.

Auch über die technische Ausstattung kann man sich hier nicht beschweren. In unseren Schulfluren hängen Screens, auf welchen Neuigkeiten gezeigt werden, der Speiseplan, das Wetter oder Siege der Schulteams. Auch in den Klassenzimmern hängen Screens und jeder Schüler hat ein MacBook, mit dem man jeden Tag arbeitet. Die allermeisten Lehrer verwenden Google Classroom. Dort bekommen wir unsere Aufgaben und müssen diese dann online einreichen, so dass sie benotet werden können.

Um es zusammenzufassen, das amerikanische Schulsystem ist darauf ausgelegt, soziale Kompetenz zu fördern jeden auf seinem Niveau abzuholen und zu fördern, ein Team zu sein und auf allen Ebenen respektvoll miteinander umzugehen. Aber ist dieses Schulsystem jetzt besser? Was vermisse ich von der ASS, was werde ich von der MDI vermissen? Von der ASS vermisse ich auf jeden Fall den Stundenplan. Zum einen, dass man “früh” morgens in die Schule geht und zum Mittagessen schon wieder zuhause ist. Hier an der MDIHS beginnt der Unterricht nämlich erst um 8:55 Uhr, geht dafür aber bis 14:15 Uhr mit nur einer Pause, in welcher man zu Mittag isst. Zudem vermisse ich die Abwechslung an Fächern und den Klassenverband. Hier in den USA ist es zwar schön, im Unterricht viele neue Leute kennenzulernen, aber eben auch schade, dass man sich meist nicht so tiefgründig kennenlernen kann, da man eben nur ein Fach zusammen belegt. An der ASS ist man dagegen den ganzen Tag mit denselben Leuten in Kontakt und wird somit mehr zu einem Klassenteam.

Und was werde ich nächstes Jahr von Amerika vermissen, wenn ich zurück an der ASS im BKWI2 bin? Am meisten vermissen werde ich wohl den freundlichen Umgang und die Offenheit der Menschen hier. Alle Leute hier lieben es zu lächeln und wenn ihnen nicht danach ist, probieren sie es dennoch. Man liebt Smalltalk, was viel Spaß macht. Denn oftmals trifft man wildfremde Menschen und fragt ganz einfach, ohne schräg angesehen zu werden, “How are you?”. Darauf folgt ein freundliches und schönes Gespräch. Manchmal tiefgründig, manchmal lediglich übers Wetter. Überzeugt hat mich auch der amerikanische Umgang mit sog. “Badwords”. Denn hier flucht man nie. Und wenn man es doch wagt, wird man von allen Leuten um einen herum schockiert und verachtend angeschaut. Das war für mich zunächst sehr komisch, da ich anfangs oft ohne darüber nachzudenken “shit” oder ähnliches gesagt habe. Aber es ergibt Sinn, dass Schimpfwörter hier nicht gerne gesehen sind, da man so einen sehr viel freundlicheren Umgang miteinander hat und mehr auf seine Worte achtet.

So, nun zum Resümee. Lohnt sich das Ganze eigentlich? Yes! Ich würde es jedem empfehlen für einen längeren Zeitraum, also für mindestens fünf Monate, raus aus seiner kleinen heilen Welt und weg von all dem Vertrauten zu gehen. Es muss in meinen Augen nicht unbedingt das Ausland sein, es kann auch nur ein FSJ im Norden Deutschlands sein, das spielt keine große Rolle. Es geht lediglich darum, dass man einen anderen Lebensstil kennenlernt und selbst Entscheidungen treffen muss. Auf neue Leute zugehen und seine Wertvorstellungen hinterfragen muss. Ein Auslandsjahr läuft vermutlich nahezu nie wie erträumt -  bei mir zumindest nicht. Es wird Höhen und Tiefen geben. Ich habe vor allem in den Tiefen viel über mich selbst gelernt, habe meine Standpunkte hinterfragt, angepasst oder gefestigt. Ich habe hier im Ausland gelernt, wo meine Grenzen liegen und was mich ausmacht. Ich habe mich sich selbst kennengelernt - und das würde ich für nichts in der Welt eintauschen wollen.

Larissa Zaiser, BKWI

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