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„Offen sein, offen bleiben“ - Im Gespräch mit dem Unternehmensberater Prof. Herbert Henzler

Mein Name ist Simon Henzler und ich durfte letztes Schuljahr an der ASS mein Abitur machen. Schon als WG-Schüler interessierte ich mich sehr für spannende Persönlichkeiten aus der Wirtschaft. Heute als Student der Wirtschaftswissenschaften gilt dies umso mehr. Als sich mir die Möglichkeit bot, mit einer solchen Persönlichkeit, Professor Henzler, ein Interview zu führen, sah ich die Chance, Fragen aus Sicht der Schüler zu stellen. Diese Fragen sind von der Klasse WGJ1B der ASS zusammengetragen worden.

Prof., Dr. Herbert Henzler wurde 1941 geboren, wuchs in Neckarhausen auf und ging auf die Mittelschule in Nürtingen. Der wohl renommierteste deutsche Unternehmensberater leitete 14 Jahre lang das deutsche Büro des Beratungsunternehmens McKinsey, koordinierte 1999 bis 2001 die europaweiten McKinsey-Geschäfte und war mitverantwortlich für die weltweite Unternehmensführung. Der leidenschaftliche Bergsteiger beriet alle deutschen Großkonzerne und war berühmt für sein Netzwerk, das die wichtigsten deutschen Vorstandsvorsitzenden und Politiker enthielt, aber auch sportliche Legenden wie Franz Beckenbauer und Reinhold Messner. Professor Henzler ist Träger des Bundesverdienstkreuzes, lehrt heute noch an der BWL-Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München und ist erfolgreicher Buchautor.

Herr Professor Henzler, als international geschätzter Wirtschaftsexperte und gebürtiger Nürtinger setzen Sie sich für die Förderung junger Nachwuchskräfte in der Wirtschaft ein. Daher kam mir der Gedanke, ob Sie nicht den Schülern der ASS ein paar Impulse aus Ihrem Erfahrungsschatz mit auf den Weg ins Studium und ins Berufsleben mitgeben wollen.

Gerne! Also das ist ja wunderbar. Ich gratuliere zu der Initiative. Das hat mich beeindruckt und ein Quäntchen dieses Interesses machte dabei natürlich auch Ihr Nachname (Henzler) aus. (lacht).

Sie gingen als Jugendlicher in Nürtingen auf die Schule. Waren Sie damals ein guter Schüler?

War ich damals ein guter Schüler? Ja, ich glaube schon. Mit 15 habe ich auch einen Preis bekommen. Aber man hat immer dazugesagt, ich sei ein sehr wilder Schüler. Ich habe viele Einträge kassiert und habe immer darüber nachgedacht, wie man Lehrer nachmachen und Blödsinn anstellen kann in der Schule. Meine große Tat war nach dem Realschulabschluss, unter meiner Anleitung den Lloyd 300 (Auto) vom Lehrer Heger in die Schule reinzutragen. Das war dann das Ende. (lacht). 

Wenn Sie heute Ihrem früheren Selbst als Schüler begegnen würden, was würden Sie ihm raten?

Wenn ich mir selbst als Schüler begegnen würde? Also ich habe da eine Sache nicht gut gemacht: Wir hatten wahlweise Französisch beim Lehrer Dehmel und den konnte ich sehr gut imitieren – das hat mir natürlich nicht zum Vorteil gereicht.

Also hätten Sie jetzt, im Nachhinein betrachtet, besser in Fremdsprachen aufpassen sollen?

In Englisch war ich dank unseres Lehrers W. Lehmann gut. Das hat mir auch Spaß gemacht, aber in Französisch hätte ich die Chancen, die ich damals hatte als 14/15-Jähriger, besser nutzen sollen. Ich habe es dann nämlich nachlernen müssen, denn ich war später mit einer Französin verheiratet. (lacht). Also ich sage mal: Chancen, die einem gegeben werden in jungen Jahren, die muss man nutzen.

Welches Fach würden Sie an den weiterführenden Schulen einführen, wenn Sie könnten?

Ich würde vermutlich – da ich ein absoluter Geschichte-Freak bin - ein Fach einführen, das einem die Geschichte der Gegend, aus der man kommt, nahebringt und verstehen lässt. Ganz früher hat man das „Heimatkunde“ genannt. Zum Beispiel hieß Nürtingen früher „Stadt der Strickwaren“ und es gab 32 Unternehmen aus diesem Bereich. Aber der Strukturwandel hat sie in den 1970er Jahren hinweggerafft und dann wurden es die Maschinenbaufirmen, die für Nürtingen standen.

Nach der Schule machten Sie eine Ausbildung bei Shell. Inwiefern war es für Sie später als Unternehmensberater und Führungskraft ein Vorteil oder ein Nachteil, dass Sie sich beginnend mit einer Ausbildung Schritt für Schritt nach oben gearbeitet haben?

Mit der Ausbildung bei Shell, lieber Simon, da fing eigentlich für mich der kontinuierliche Wandel an. Die anderen sind alle in Nürtingen geblieben, haben eine Lehre gemacht z. B. bei Metabo oder Heller. Aber ich bin damals nach Stuttgart zur „Deutschen Shell“ gegangen und das war für mich ein kolossaler Vorteil, denn das Unternehmen war anglistisch orientiert. Englisch und Holländisch waren dort wichtige Sprachen und man lernte mindestens einmal am Tag, dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind. (lacht). Da hat man einfach unglaublich viel Disziplin gelernt bei der Arbeit. Und es gab jede Woche eineinhalb Stunden Englischunterricht - man war eben Teil eines globalen Unternehmens.

Wir an der ASS sind eine kaufmännische Schule. Inwieweit ist es aus Ihrer Sicht für das spätere Berufsleben in der freien Wirtschaft ein Vorteil, eine solche Schule zu besuchen?

Dann jetzt also zur Albert-Schäffle-Schule: Ich glaube, der Vorteil ist, dass Sie dort natürlich praxisnäher lernen. Die Praxisbezogenheit ist sehr gut und was mich abholen würde, wäre die Tatsache, dass man anhand praktischer Fälle auch das Lernen selbst lernt. Früher haben wir die Sachen alle reingepaukt, aber auch zu lernen WIE man lernt, das, so meine ich, kann man an einer kaufmännischen Schule praxisnäher üben. Denn eine Buchhaltung muss einfach stimmen und einen Dreisatz muss man können.

Bibliothek der Universität Berkeley

War Unternehmensberater von Anfang an Ihr Traumberuf oder warum haben Sie diesen Beruf gewählt? Welchen Ratschlag bei der Berufswahl würden Sie uns Schülern geben?

Nein, nach meinem Examen 1968 arbeitete ich als Assistent an der Uni. Und mein ursprüngliches Berufsziel war es, an der Uni zu bleiben und Hochschullehrer zu werden. Und dann bin ich ja noch mit diesem Gedanken im Hinterkopf nach Berkeley (Kalifornien, USA) gegangen, um zu promovieren, habe dann aber - wenn man so will - eine komplette Veränderung durchgemacht. Ein so genanntes LCE - ein Life Changing Event. Ich habe dort nämlich gemerkt, dass ich mir auch noch andere Sachen vorstellen kann und bin dann zu McKinsey gegangen.

Prof. Henzler bei seiner Ehrung zum HfWU-Ehrensenator

Und haben Sie dann Ihr ursprüngliches Ziel verworfen?

Nein, ich bin ja immer noch an der Uni. Mein Ratschlag wäre: Offen sein, offen bleiben! Das gilt gerade in der heutigen Zeit. Während Betriebswirte früher klassischerweise bei einem Steuerberater oder bei einem Wirtschaftsprüfer gearbeitet haben oder Controller wurden und das dann auch 40 Jahre lang blieben, würde ich heute immer sagen: offen bleiben! Gerade in dieser Zeit, wo sich die Welt so dramatisch verändert, kann man natürlich auch ganz andere Berufsbilder wählen, z. B. auch Podcaster. In Stuttgart gibt es sogar eine 15-Jährige, die hat einen Podcast mit 400.000 Followern.

Hatten Sie in unserem Alter ein Vorbild? Wenn ja, warum ausgerechnet dieses? Wer würde sich aus Ihrer Sicht als Vorbild für unsere Generation eignen?

Also wenn überhaupt, waren meine Vorbilder Fußballspieler. Schließlich waren wir Weltmeister 1954. Aber jein, ich hatte auch zwei Vorbilder bei McKinsey, John G. McDonald und Ron Daniel (langjährige Spitzenmanager von McKinsey), die sich beide unheimlich eingesetzt haben für junge Leute. Sie haben z. B. gesagt: ,,You are down the wrong alley‘‘ – also du machst einen Fehler, um einem damit zu helfen, weil sie sich vorurteilsfrei für andere interessiert haben. So jemand kann auch ein ehemaliger Schullehrer sein oder jemand, mit dem man im Beruf zusammenarbeitet und der vielleicht nur zwei oder drei Jahre älter ist, aber ein Interesse an deiner Entwicklung hat.

Sie sind sehr sportbegeistert. Inwiefern hat Ihnen diese Leidenschaft für den Sport in Ihrem Berufsleben geholfen?

Sport hat mir enorm geholfen. Ich jogge ja morgens. Oft bin ich in Düsseldorf morgens um 06:00 Uhr los und am Rhein entlang gejoggt. Also diese Energie und die Disziplin haben mir enorm geholfen, auch im Berufsleben, davon bin ich überzeugt. Man kann überall joggen. Ich bin im Central-Park in New York gejoggt, in Japan um den Kaiserpalast und, und, und….

Ihre Laufschuhe haben also die Welt gesehen

Ja genau (lacht)

Welche Tipps haben Sie für Schüler im Hinblick auf ein erfolgreiches Zeitmanagement, um all die Unterrichtsfächer, Hobbies oder einen Nebenjob unter einen Hut zu bekommen?

Das ist natürlich eine der großen Herausforderungen in jungen Jahren, das alles unter einen Hut zu bekommen. Möglicherweise dazu auch noch eine Liebesbeziehung, die gerade funktioniert oder auch nicht funktioniert (lacht). Also ich würde einfach sagen: regelmäßig Kalendermanagement machen, regelmäßig sich selber vergegenwärtigen, wie man seine Zeit einsetzt. Wie viel Zeit habe ich, um zu lesen? Wie viel Zeit habe ich, um Freunde zu besuchen? Und dann merkt man immer - das habe ich auch mal dem Vorstandsvorsitzenden einer großen Bank gesagt – ich garantiere dir, du hast 20 bis 30 Prozent Deiner Zeit nicht wirklich genutzt. Chillen muss auch mal sein. Aber man sollte halt schauen: Ist das wirklich genug gewesen, was ich für diese oder jene Sache gemacht habe – und sei es auch die Frage: habe ich genug Freunde gesehen habe oder habe ich den Brief geschrieben, der mir am Herzen lag?

Es gibt ja den Spruch von Samuel Johnson: “The way to hell is paved with good Intentions.” Man sollte also immer wieder überlegen: „Was habe ich eigentlich alles vorgehabt und was habe ich nun tatsächlich davon erreicht?“ Da stellt sich dann die Frage, was man davon auch realistischerweise umsetzen kann und möchte.

Bei McKinsey haben Sie sicherlich auch viele Personalentscheidungen getroffen. Welche Ratschläge können Sie uns für künftige Bewerbungen und Vorstellungsgespräche geben? Gibt es für Sie absolute K.O.-Kriterien, die man als Bewerber unbedingt vermeiden sollte?

Oh je, ja! Ich habe unzählige Interviews geführt mit Leuten, die bei uns anfangen wollten und eine ganze Reihe von Gesprächen, um Leuten zu sagen: „There is life after Mc Kinsey, sorry.“ Ein KO-Kriterium also: Was mich immer irritiert hat, ist, wenn Leute ihre Aktivitäten so runtergerattert haben: „Ich war bedeutend, ich hab das gemacht und das gemacht und dann war ich auch noch der Leiter von der Hammelherde und so weiter…“  Was man stattdessen unbedingt rüberbringen sollte, ist: interessant sein, eine spannende Persönlichkeit sein, so dass der Andere sagt: ,,Wow, mehr Zeit mit ihr oder ihm zu verbringen, wäre schön.“ Die Zeit ist ja immer knapp bei solchen Interviews - aber mehr Zeit mit jemanden im Gespräch verbringen zu wollen, wäre vielleicht so ein Kriterium.

Ich hatte da früher das Beispiel: Stellt Euch vor, Ihr sitzt im Flieger von Frankfurt nach New York, neben euch sitzt ein älterer Executive und fragt: ,,Ach, das ist ja interessant, Sie sind bei McKinsey, was machen Sie denn da?“ Wenn der dann aber nach 10 Minuten sagt: ,,Well, nice meeting you“ und einschläft, dann habt ihr‘s verpasst. Der muss denken: „Wow - jetzt will ich die Zeit nutzen, um eine oder zwei Stunden von dem jungen Menschen zu hören, was er macht und warum er es macht.“ 

Lieber Herr Professor Henzler, im Namen der gesamten Schülerschaft der ASS danke ich Ihnen für das spannende Interview und wünsche Ihnen alles Gute.

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